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Komplexe Zahlen und Funktionen 1

   
 
   
 

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1. Komplexe Ebene und Eulerformel

1.1. Die Gauss-Ebene

Komplexe Zahl z = a + bi. a = Realteil = |z|cos(t). b = |z|sin(t). |z| = Betrag von z. t = Argument von z = Winkel zur reellen Achse (Bogenmass).
z kann als Vektor OZ (O = Koordinatenursprung) dargestellt werden (roter Pfeil).
Multiplikation von z mit i bedeutet eine 90°-Drehung des Vektors im Gegenuhrzeigersinn.
Addition komplexer Zahlen: Analog Vektoraddition.

1.2. Multiplikation komplexer Zahlen

Beispiel: Sei z gegeben (blauer Pfeil oben). Sei w = 4 + 3i. Was bedeutet geometrisch w⋅z?
Wir spalten die Multiplikation auf: (4+3i)⋅z = 4z + 3iz. Das ist geometrisch im Bild oben dargestellt. Es entsteht der grüne Pfeil. Was ist der Betrag dieses grünen Pfeils?
Antwort: Das Betragsquadrat ist gleich 4²|z|² + 3²|z|² =|z|²(4²+3²)= |z|²|w|².
Der Betrag des Produkts ist somit gleich dem Produkt der Beträge.
Wie steht es mit dem Winkel von w zur reellen Achse? Es ist t = arctan(3 : 4), das ist aber auch der Winkel von w=(4+3i) zur reellen Achse. Das Bild oben zeigt somit:
Der Winkel des Produkts ist gleich der Summe der Winkel der Faktoren.

Somit ergibt sich die Multiplikationsregel: Multipliziere die Beträge und addiere die Winkel.


1.5. Sinus und Kosinus

Das Bild zeigt:

2i sin(t) = Exp(it) - Exp(-it)

2 cos(t) = Exp(it) + Exp(-it).

 

1.3. Die Eulerformel

Wir wissen, dass die Exponentialfunktion y=Exp(x) die einzige Funktion ist, die mit ihrer Ableitung übereinstimmt (und Anfangswert 1 hat). Dies führt sogleich zu einer Potenzreihe für diese Funktion und zur berühmten Eulerformel:

Der letzte Schritt ergibt sich aus der Taylorentwicklung für die Kosinus- und die Sinusfunktion (Winkel im Bogenmass).

1.4. "Physikalische" Begründung der Eulerformel

Jede komplexe Zahl lässt sich also auch darstellen als |z|⋅Exp(it). z = Betrag, t = Winkel.
In dieser Darstellung wird die Multiplikationsregel besonders einsichtig:

 
 
 
 
 

1.6. Sind komplexe Zahlen Punkte oder Vektoren?

Was trifft zu? - Beides. Bezüglich Addition und Multiplikation verhalten sich die komplexen Zahlen wie Vektoren. Allerdings haben wir noch eine Multiplikation dieser Vektoren gefunden, die sich von den aus der Physik bekannten Vektorverknüpfungen (Skalarprodukt und Vektorprodukt) unterscheidet. Geometrisch ist diese Multiplikation eine Drehstreckung.

Das Produkt w⋅z kann doppelt interpretiert werden:

a) Die Drehstreckung w wirkt auf den Punkt z und bildet ihn auf einen neuen Punkt ab. w wäre dann eine Drehstreck-Operation, z ein Punkt.

b) Die Drehstreckung w folgt auf die Drehstreckung z; die Komposition ist eine neue Drehstreckung w⋅z.

Für die Addition gilt Analoges:

a) z + w kann bedeutet: Der Punkt z wird um w verschoben (translatiert). w ist dann eine Translation, welche den Punkt z auf einen neuen Punkt abbildet.

b) z + w ist die Komposition zweier Translationen, also wieder eine Translation.

Die komplexen Zahlen können also sowohl als Operationen (Abbildungen) wie auch als Punkte (auf welche die Operationen wirken) aufgefasst werden.

Jede komplexe Zahl, werde sie nun als Drehstreckung oder als Punkt aufgefasst, ist durch zwei Koordinaten festgelegt: durch Real- und Imaginärteil oder durch Betrag und Winkel.

 

1.7. Warum gibt es keine dreidimensionalen komplexen Zahlen?

Lange suchte man nach einem dreidimensionalen gaussschen Zahlenraum. Stattdessen fand man erst wieder einen vierdimensionalen Raum, der sich analog der komplexen Zahlen verhält: die Quaternionen.

Warum gibt es kein dreidimensionales Analogon?
Ein Punkt im Raum benötigt drei Koordinaten, eine Drehstreckung jedoch deren vier:
Streckfaktor, Drehwinkel und zwei weitere Koordinaten zur Festlegung der Drehachse (analog der geografischen Länge und Breite). Es gibt also keine räumlichen komplexen Zahlen. Die Vektoraddition wäre zwar vorhanden, nicht aber eine sinnvolle Multiplikation, die unsere gewöhnlichen Rechengesetze erweitert.

 
 
 
 
 

1.8. Eine Anwendung der komplexen Zahlen

Komplexe Zahlen ermöglichen oft einfache Beweise geometrischer Sätze.

Ein Beispiel:

Zeichne ein beliebiges Viereck. Errichte über jeder Viereckseite das Quadrat und markiere in jedem dieser Quadrate den Mittelpunkt. Behauptung: Die Strecken, welche die Mittelpunkte gegenüberliegender Quadrate verbinden, stehen senkrecht aufeinander und sind gleich lang.

 

Beweis:

Vorbemerkung: In der komplexen (gausschen) Zahlenebene kann man Vektoren wie in der reellen Ebene beschreiben. So gewinnt man etwa den im Bild links gezeigten Vektor 2a via "Endpunkt A minus Anfangspunkt O", also als Vektor OA.
Man beachte ferner: Multiplikation mit i bedeutet eine 90°-Drehung im Gegenuhrzeigersinn. So steht z.B. im nachfolgenden Beweis der Vektor i⋅a senkrecht auf dem Vektor a: Man kann elegant rechtwinklig "abbiegen", viel einfacher, als dies in der reellen Ebene ginge.

 

Quelle: T. Needham: Anschauliche Funktionentheorie, Oldenbourg, München, 1997, p.19.

 
 
 
 
 

1.9. Zusammenhang der Multiplikation komplexer Zahlen mit dem Skalar- und dem Vektorprodukt von Vektoren

Komplexe Addition entspricht der Vektoraddition, wenn wir uns eine komplexe Zahl z = x + iy als Vektor <x, y> vorstellen.

Für das Vektorprodukt zweier Vektoren a und b, das senkrecht auf a und b steht, orientieren wir uns, da wir die komplexe Ebene ja nicht verlassen wollen, an der geometrischen Interpretation als orientierte Fläche des von den Vektoren aufgespannten Parallelogramms.

 

Es gilt:

Durch obige Formel erhalten wir also auf einen Schlag via komplexe Multiplikation (a konjugiert mal b) das Skalar- und den Betrag des Vektorprodukts der Vektoren a und b.

 
 
 
 
 

1.10. Dritte Einheitswurzeln

Die 3. Wurzeln aus 1 liegen auf einem gleichseitigen Dreieck, das dem Einheitskreis einbeschrieben ist. Die eine Wurzel ist 1.

Man rechnet leicht nach, dass die drei angegebenen Wurzeln hoch drei gerechnet wieder 1 ergeben. Am schnellsten rechnet sich dies natürlich in der Exponentialschreibweise.

Analog findet man n-te Einheitswurzeln. Sie liegen auf einem dem Einheitsreis einbeschriebenen regulären n-Eck, dessen eine Ecke 1 ist. Die Winkel sind ganzzahlige Vielfache von 2π/n.

 

Die Abbildung f(z) = z³:
Was geschieht mit den Punkten des Einheitskreises unter der Abbildung f(z) = z³ ?
Der Punkt Exp(i⋅θ) geht über in den Punkt Exp(i⋅3θ).
Wir denken uns zwei komplexe Ebenen nebeneinander. Die erste ist die Urbildebene, die zweite die Bildebene. Kreist ein Punkt in der Urbildebene auf dem Einheitskreis, so kreist der Bildpunkt unter f(z) = z³ drei Mal so schnell auf dem Einheitskreis der Bildebene. Nach einer Umdrehung des Punktes auf dem Urbildkreis wurde der Bildkreis durch den Bildpunkt drei Mal umkreist.
Die 1 in der Bildebene wurde drei Mal getroffen, nämlich von den drei roten Urbildpunkten aus (den dritten Einheitswurzeln).

   
 
 
 
 

2. Komplexe Funktionen

2.1. Potenzreihen

 

 

Betrag der Funktion f(z) = | 1 / (1 - z²) |. Nach rechts reelle Achse, nach hinten imaginäre Achse.
Herstellung mittels Geogebra.


Erläuterung: Auf der komplexen Ebene wird jeder Zahl z = x + iy der reelle Wert
| 1 / (1 - z²) | als Höhe über dem Punkt z zugeordnet. So entsteht eine Funktionenlandschaft. Die Polstellen ("Kamine") befinden sich bei z = 1 und z = -1.

 

Links Schnitt obiger Landschaft durch die reelle und rechts durch die imaginäre Achse.

 
 
 
 
 

2.2. Die komplexe Exponentialfunktion w = Exp(z)

Geogebra-Applet zum Erkunden der komplexen Exponentialfunktion hier.
Die Erkundung beinhaltet einige Aufgaben zum Kennenlernen des Verhaltens dieser Funktion.

               

Abb. links: z verläuft längs der grünen Geraden mit Steigung 3. Dann beschreibt w eine Spirale.
Abb. rechts: z verläuft längs der senkrechten Geraden b zwischen 0 und 2π. Dann durchläuft w einmal den abgebildeten Kreis.

 

Einige Resultate aus der links angezeigten Geogebra-Erkundung:

  • Bewegt sich z senkrecht aufwärts, beschreibt w einen Kreis um den Ursprung.
  • Bewegt sich z waagrecht nach links, bewegt sich w mit ständig abnehmender Geschwindigkeit Richtung Ursprung.
  • Die komplexe Exponentialfunktion ist 2πi-periodisch, d.h. Exp(z) = Exp(z+2πi).
  • Eine Gerade wird auf eine Spirale abgebildet.
  • Die Halbebene links der i-Achse wird auf das Innere des Einheitskreises abgebildet.
  • Zwei beliebige, sich schneidende Geraden werden auf zwei Kurven abgebildet, die sich im selben Winkel schneiden wie die Geraden (Winkeltreue).
 
 
 
 
 

2.3. Nochmals dritte Wurzeln: mehrwertige Funktionen

Bilder rechts: Komplexe Ebene mit Einheitskreis. Schwarz: Ausgangsvariable z, startend beim markierten schwarzen Punkt z(0) (schwarz markiert als Ringlein). Rotes Ringlein: die eine dritte Wurzel aus z(0) (es gibt ja insgesamt drei verschiedene dritte Wurzeln aus z(0)). Wie entsteht die rote Bahn? Aus dem Betrag der schwarzen Zahl z wird die 3.Wurzel gezogen und der Argumentwinkel von z wird gedrittelt.
Wir lassen nun z im Gegenuhrzeigersinn stetig entlang der gepunkteten Kreislinie laufen. Rot dargestellt ist w = z^(1/3), d.h. die dritte Wurzel aus z.
Damit auch die (rote) Kurve von w stetig verläuft, müssen wir das Winkelargument von z jeweils ebenfalls stetig wählen. Das heisst z.B., dass wir im rechten Bild, wenn wir auf dem schwarzen Kreis von unten her kommend die reelle Achse überschreiten Argumente grösser als 2π wählen müssen.
Wir sehen folgendes Phänomen:
Bild links: Die schwarze Bahn umrundet den Ursprung nicht. Die Winkelargumente von z steigen zunächst an, werden dann wieder kleiner und gehen zurück zum Anfangswert: Die rote Bahn wird geschlossen (die Argumente der roten Zahlen w sind ein Drittel der Argumente der schwarzen Zahlen z).
Bild rechts: Die schwarze Bahn umrundet den Ursprung. Die Winkelargumente der schwarzen Zahlen z steigen laufend an und werden schliesslich grösser als 2π: Die rote Bahn schliesst sich nicht mehr, sondern landet bei der "andern" dritten Wurzel aus dem Anfangswert z(0). Durchliefe man die Bahn nochmals, so würde die rote Bahn bei der dritten Lösung der dritten Wurzel von z(0) landen.

Man nennt den Punkt (0/0) einen Verzweigungspunkt. Die komplexe Funktion der dritten Wurzel ist "mehrwertig", d.h. zu jedem z existieren 3 Lösungen w. (Das ist eigentlich eine Erweiterung des klassischen Funktionsbegriffs, bei dem ja zu jedem Ausgangswert nur ein Bildwert gehört.)
Man kann die Funktion künstlich einwertig machen, indem man die komplexe Ebene "schlitzt" und so das Umrunden des Ursprungs verhindert. In der Regel wählt man die negative Imaginärachse als "Schlitz". Dann wäre das rechte Bild nicht möglich.

 

       

Abb. oben: Nehmen wir an, wir wanderten in der komplexen Ebene (schwarz) und hätten eine ferngesteuerte Drohne (rot), die so programmiert sei, dass ihr Weg der 3.Wurzel aus unserer (schwarzen) Position entspricht. Der rote Weg der Drohne muss natürlich stetig sein.
Wir starten beim schwarz markierten Punkt z(0), die Drohne beim rot markierten w(0).
Wir wollen einen geschlossenen Rundgang absolvieren, also nach einer Weile wieder beim Startpunkt ankommen.
Nun passiert folgendes: Wenn wir einen Rundgang absolvieren, der den Koordinatenursprung nicht umrundet (Bild links), werden wir bei der Rückkehr unsere Drohne auch wieder an ihrer ursprünglichen Startposition vorfinden.
Umrundet jedoch unsere Route den Ursprung (Bild rechts), so werden wir nach Rückkehr die Drohne am ursprünglichen Startort vergeblich suchen; sie befindet sich an einem um 120° um den Ursprung gedrehten Ort.
Wollen wir solches vermeiden, müssen wir z.B. entlang der negativen Imaginärachse (oder sonstwo) einen Zaun anbringen, der verhindert, dass wir den Ursprung umrunden.

 
 
 
 
 

Eine Folgerung daraus:

Warum hat f(z)= (1 + z)^(1/3) bei -1 einen Verzweigungspunkt?
Setzen wir 1+z=u, so ist f(z) = u^(1/3) =: g(u).
g(u) hat, wie oben dargelegt, den Verzweigungspunkt u = 0 = z+1;
z = -1 ist also Verzweigungspunkt von f(z).

Quelle: T.Needham, Anschauliche Funktionentheorie, Oldenbourg, München, 2001, p.110.

 



Abb: grün: f(x) = (1 + x)^(1/3). Orange: Die Potenzreihenentwicklung bis zum Grad 5 (diese kann mittels des Binomialsatzes oder via Taylorentwicklung gewonnen werden). Je höher hinauf das Taylorpolynom entwickelt wird, desto besser die Annäherung im Bereich
]-1 ; 1[. Ausserhalb davon divergiert die Taylorreihe.

Abb: Wandere ich mit z der blauen Linie entlang, wird das zugehörige w = f(z) an einem andern Ort enden, als wenn ich mit z der roten Linie entlang wandere. Wenn ich also im Funktionsausdruck (1+z)^(1/3) die Eingabe z stetig ändere, kommt es ganz darauf an, ob ich dabei die Verzweigung -1 umrunde oder nicht. Führe ich dieselbe stetige Änderung von z hingegen in der Potenzreihe aus, kann diese Unterscheidung nicht realisiert werden. Die Potenzreihe kann bei Umrundung von -1 nur so reagieren, dass sie divergiert - und sie divergiert dann auch im rein reellen Fall.
Erneut wirft das Komplexe erklärendes Licht aufs Reelle.

 
 
 
 
 

2.4. Die komplexe Logarithmusfunktion

arg(z) kann modulo 2π unendlich viele Werte annehmen; log(z) ist eine mehrdeutige Funktion. Die Werte unterscheiden sich durch Vielfache von 2πi.
0 ist ein Verzweigungspunkt. Wir können wieder die negative Imaginärachse schlitzen. Es ist dann -π < Arg(z) ≤ π.
Liegt z = x auf der reellen Achse, wird log(x) = ln(x).
Bei Beschränkung auf den Hauptzweig gelten die üblichen Log-Regeln nicht. Wenn wir dies nicht tun, gelten sie jedoch.

 

Für den Hauptzweig von Log(z) gilt:

 
 
 
 
 

2.5. Komplexe Potenzen

     
 
 
 
 

2.6. Inversion am Kreis

a) Inversion am Einheitskreis

Der komplexen Zahl z wird der Kehrwert der konjugierten Zahl, , zugeordnet. Das Bild hat denselben Argumentwinkel wie z. Der Betrag des Bildes ist der Kehrwert des Betrags von z.

Geometrische Konstruktion:

Zeichne die Gerade (OP) und senkrecht dazu die Sekante durch P.
Wo die Sekante den Kreis schneidet, lege die Tangente an der Kreis.
Wo diese Tangente die Gerade (OP) schneidet, befindet sich das Bild P' von P.

Es genügt eine Begründung für ein P auf der reellen Achse im Abstand a von O.
k ist der Einheitskreis.
Nach dem Kathetensatz ist OP⋅OP' = 1² = 1, d.h. OP' = 1 / OP.


b) Inversion an einem beliebigen Kreis k:

Man führe dieselbe Konstruktion aus wie oben für den Einheitskreis beschrieben.

Eine technische Anwendung fand diese Inversion im Inversor von Peaucellier, der gerade Bewegungen von Dampfmaschinenkolben mit Kreisbewegungen der Räder (und umgekehrt) verknüpfte.
Geogebra-Modell des Inversors von Peaucellier (1864)
Noch ein Geogebra-Modell
Sammlungsobjekt hier.

 

Man findet folgende Gesetzmässigkeiten:

  • Geraden durch das Kreiszentrum werden global (jedoch nicht lokal!) auf sich selber abgebildet. Fixpunkte sind die Schnittpunkte mit dem Kreis k.
  • Geraden nicht durchs Zentrum werden auf Kreise, die durchs Zentrum verlaufen, abgebildet und umgekehrt: Kreise, die durchs Zentrum gehen, werden auf Geraden, die nicht durchs Zentrum gehen, abgebildet. Diese Eigenschaft war die Motivation für Peaucelliers Erfindung.
  • Kreise, die nicht durchs Zentrum gehen, werden auf Kreise, die ebenfalls nicht durchs Zentrum gehen, abgebildet.
  • Die Punkte auf dem Kreis sind Fixpunkte.
  • Die Abbildung ist involutorisch, d.h. zweimalige Anwendung führt zurück zum Anfang.
  • Das Innere des Kreises wird nach aussen, das Äussere aufs Innere abgebildet.
  • Der Mittelpunkt m wird auf den Punkt "unendlich" abgebildet. Wenn wir Geraden als Kreise mit unendlich grossem Radius, d.h. als Kreise, die durch den Punkt "unendlich" laufen, auffassen, so wird klar, dass Kreise, die durch den Mittelpunkt m verlaufen, auf "Kreise, die durch den Punkt unendlich gehen", also auf Geraden, abgebildet werden.

 

Inversion am Kreis k mit Radius r. o = Ursprung, m = Mittelpunkt von k, t = Tangente an k.
Es ist z' = m + (z - m)⋅r² / | z - m |².
Falls z auf k liegt, ist |z-m|=r und es wird dann z'=m+z-m = z wie oben behauptet.
Die Gerade rzs wird wie folgt abgebildet: r und s bleiben fix, z geht auf z'. Es entsteht als Bild der Umkreis des Dreiecks sz'r; dieser schneidet den Kreis k rechtwinklig.
Die Tangente t wird wie folgt abgebildet: z' geht auf z, r bleibt. Als Bild entsteht der Umkreis des Dreiecks rmz.

 
 
 
 
 

 

Bild links: Gegeben ist der Kreis k. Gegeben ist ferner der grün gezeichnete Kreis, der senkrecht (orthogonal) auf k steht, wie die beiden Tangenten s und t zeigen.

Frage: Wie sieht das Bild des grünen Orthogonalkreises unter der Inversion an k aus?

Wir wissen: s und t werden auf sich selber abgebildet. Ein Punkt Z geht auf Z'. S und T bleiben fix. Der grüne Kreis (Urbild) ist bereits festgelegt durch s, t und z.B. S.

Das Bild des grünen Kreises ist jedoch ebenfalls festgelegt durch s, t und z.B. S, da s, t und S auf sich selber abgebildet werden. Das Bild des grünen Kreises ist deshalb der grüne Urbild-Kreis selber.

Wir finden also:

Ein Orthogonalkreis wird unter der Inversion an k auf sich selber abgebildet.

Das bedeutet: Wenn Z auf dem Orthogonalkreis liegt, so liegt auch Z' darauf.

 
 
 
 
 

Obiges Resultat gibt uns eine einfache Konstruktionsmöglichkeit für folgende

Aufgabe:

Gegeben ist k und ein Punkt Z. Ferner sei eine Gerade g durch Z gegeben.
Gesucht ist ein Kreis, der senkrecht zu k verläuft und g in Z berührt, also ein Kreis, der in Z eine vorgegebene Richtung hat und der orthogonal zu k verläuft.

 

Lösung: Der Mittelpunkt des gesuchten Kreises liegt auf der Mittelsenkrechten der Strecke ZZ' und gleichzeitig auf der zu g Senkrechten durch Z. Der gesuchte Kreis ist eindeutig bestimmt.

 
 
 
 
 

Orthogonalkreise und nichteuklidische Geometrie

 

Im Kreisscheibenmodell von Poincaré betrachtet man die offene Einheitskreisscheibe.
"Geraden" nennt man Kreisbögen, die den Einheitskreis senkrecht (orthogonal) schneiden.

Man sieht, dass in dieser Geometrie das Parallelenaxiom von Euklid nicht gilt, das besagt, dass es zu einer gegebenen Geraden g und einem Punkt ausserhalb von ihr genau eine Gerade gibt, die g nicht schneidet.

Im Kreisscheibenmodell haben wir links zur gegebenen blauen "Geraden" g und zum gegebenen Punkt z2 ausserhalb davon zwei (grüne) "Geraden" gezeichnet, die g nicht schneiden. Wir könnten unendlich viele solche "Parallelen" finden.

Vgl. Hyperbolische Geometrie

 
 
 
 
 

Antikonformität der Inversion am Kreis

Satz: Die Inversion am Kreis ist antikonform, d.h. sie erhält den Betrag von Schnittwinkeln zwischen zwei Kurven, ändert aber das Vorzeichen des Winkels.

Begründung: Wir ersetzen die beiden Kurven an ihrem Schnittpunkt z1 auf einem infinitesimal kleinen Stück durch die Ortho-Kreise mit denselben Tangenten in diesem Punkt.
Sei θ der Schnittwinkel zwischen k2 und k1 (Orientierung im Gegenuhrzeigersinn). Sei θ' sein Bild, also der Winkel zwischen k2' und k1'.
Da Ortho-Kreise auf sich selber abgebildet werden (k1 = k1', k2 = k2'), ist θ' der Schnittwinkel zwischen den beiden gleichen Kreisen k2 = k2' und k1 = k1', d.h. θ' = -θ (siehe Bild rechts; Orientierung im Uhrzeigersinn).

Hinweis zum Arbeiten mit Geogebra:
Komplexe Zahlen können frei eingegeben werden, z.B. als z1=0.8+0.4i. Es entsteht ein Punkt.
Um den am Einheitskreis gespiegelten Punkt z1' zu finden, gibt man ein:
conjugate(1/z1). z1 kann beliebig verschoben werden.

 
Abb.: Die Inversion am Kreis ist antikonform. Daraus folgt, dass die Funktion f(z)= 1/z konform ist.
 
 
 
 
 

Die regelmässige Figur rechts wird am Einheitskreis invertiert. Es entsteht die Figur links.
Was man ebenfalls gut sieht: Die Inversion ist symmetrieerhaltend.

 

Die durch Inversion entstandene Kreiskette. Vgl. Steinerketten.

 
 
 
 
 

Eine Aufgabe, die mithilfe der Kreisinversion gelöst werden kann:
(Quelle: T. Needham, Anschauliche Funktionentheorie, Oldenburg, p. 158 f)

Gegeben ist ein Viereck, dessen Diagonalen senkrecht aufeinander stehen (ABCD).
Der Diagonalenschnittpunkt E werde an den vier Viereckseiten gespiegelt.
Behauptung: Die entstehenden Spiegelpunkte F, G, H und I liegen auf einem Kreis.



(Aufgabe aus einer US-Mathe-Olympiade)

 

Lösungsvorschlag T. Needham:

Wir erzeugen die Spiegelpunkte mithilfe von vier Kreisen r, s, t und u. Diese Kreise schneiden sich paarweise orthogonal.
Nun denken wir uns irgend einen Kreis mit Zentrum E (Diagonalenschnittpunkt). Wir invertieren die ganze obige Figur an diesem Kreis (siehe Skizze unten).

Wir wissen:
Die vier Kreise r, s, t, u durchs Zentrum E werden dann in Geraden, die nicht durch E laufen, abgebildet. Die Orthogonalität bleibt erhalten. Es entsteht also ein Rechteck F', G', H', I'.
Dieses Rechteck hat selbstverständlich einen Umkreis k'.
Die Rück-Inversion überführt k' in einen Kreis k durch F, G, H, I, womit die Behauptung bewiesen ist.

Herausforderung: Gibt es einen elementargeometrischen Beweis ohne Inversion?

 
 
 
 
 

Rechts: Zusatz-Illustration zum Beweis oben:

Die vier farbigen Kreise, die alle durch E verlaufen (grün, orange, blau, violett) werden am grau gezeichneten Kreis e mit Zentrum E invertiert. Es entstehen die Geraden in der entsprechenden Farbe (grün, orange, blau, violett). Die rechten Winkel bleiben erhalten, somit entsteht ein Rechteck F'G'H'I'.

P.S. Inversion mit Geogebra: Befehl "spiegle an Kreis"

   
 
 
 
  3. Die Riemannsche Zahlenkugel      
  3.1.Stereografische Projektion      
         
 



Anmerkung:
Die stereografische Projektion entspricht der Inversion an der Kugel um N mit Radius √2, d.h. an der Kugel um N, welche die komplexe Ebene im Einheitskreis schneidet. Da die Inversion an der Kugel Kreise in Kreise überführt, gilt dies auch für die stereografische Projektion.
Skizze zur Begründung:

Die Skizze zeigt die Schnittebene des rechtwinkligen Dreiecks pON (O=Koordinatenursprung). Die Kugel um N mit Radius √2 ist ebenfalls als Schnitt (Kreis K) eingezeichnet.
Gegeben ist P auf der hellblauen Einheits-Sphäre. Das Bild p unter der stereografischen Projektion liegt in der komplexen Ebene (im Schnittbild die horizontale Gerade pO).
Nach Sekantensatz ist pP⋅pN = pU⋅pV = pT², also pP⋅pN = pT². Somit ist nach Kathetensatz P Höhenfusspunkt des rechtwinkligen Dreiecks pNT. Dann ist ebenfalls nach Kathetensatz PN⋅pN = 2 oder PN = 2/pN, was der Inversion am Kreis K entspricht.
Die stereografische Projektion und die Inversion an der Kugel um N mit Radius √2 ergeben also bei gegebenem P dasselbe Bild p.

 

Wir sahen bei der Inversion (oben), dass Kreise durch den Mittelpunkt des Inversionskreises in Geraden abgebildet werden. Die übrigen Kreise werden in Kreise abgebildet.
Wenn wir nun Geraden ebenfalls als Kreise, die durch den Punkt "unendlich" gehen, auffassen, so können wir vereinheitlicht sagen: Die Inversion führt Kreise in Kreise über. Durch Hinzufügen des Punktes "unendlich" wird dann auch die Funktion w = 1/z vollständig, d.h. 1/0 = ∞ und 1/∞ = 0 sind definiert.

Die Riemannsche Zahlenkugel ist ein Modell für diesen um den Punkt ∞ erweiterten komplexen Zahlbereich. Die Zuordnung funktioniert wie folgt:

Man betrachtet die Einheits-Sphäre Σ um (0/0/0). Sei darauf ein Punkt P gegeben. (Wir bezeichnen Punkte auf der Sphäre mit Grossbuchstaben und Punkte auf der Äquatorebene mit Kleinbuchstaben.)
Vom Nordpol N aus legt man eine Gerade durch P und bestimmt den Durchstosspunkt p mit der Äquatorebene, welche die um den Punkt unendlich erweiterte komplexe Ebene ℂ' darstellt (siehe Bild: reelle Achse; imaginäre Achse). P und p entsprechen sich ein-eindeutig.
Die beschriebene Abbildung von Σ nach ℂ' heisst stereografische Projektion.

Bemerkung:
In vielen Abhandlungen wird die komplexe Ebene auch unter den Südpol gelegt und nicht in den Äquator; man wählt dann für die Kugel Radius 1/2.

Eigenschaften der stereografischen Projektion:

  • Der Bereich der südlichen Halbsphäre wird auf das Innere des Einheitskreises abgebildet, die nördliche Halbsphäre auf das Äussere des Einheitskreises. Der Einheitskreis selber wird punktweise auf sich selber abgebildet. Der Südpol S wird auf 0 abgebildet.

  • Je näher P zum Nordpol rückt, desto mehr entfernt sich p zum unendlich fernen Punkt hin. Dem Punkt N entspricht so in ℂ' der Punkt ∞.

  • Dem gestrichelt gezeichneten Kreis durch N und P entspricht in ℂ' eine Gerade, nämlich die Schnittgerade der Kreisebene mit der Ebene ℂ'. Kreisen durch N entsprechen also Geraden in ℂ' und umgekehrt. Die Geraden in ℂ' können also als Kreise durch den Punkt ∞ aufgefasst werden. Auf der Sphäre repräsentiert N ja gerade den "unendlich fernen" Punkt.

  • Generell führt die stereografische Projektion Kreise in Kreise über (siehe Begründung in der Anmerkung links).

  • Die stereografische Projektion ist winkeltreu, sofern man die Orientierung eines Winkels auf der Sphäre so definiert, dass man den Winkel vom Inneren der Sphäre aus (im Gegenuhrzeigersinn) betrachtet.
  • Auf ℂ':= ℂ {∞} definieren wir die chordale Metrik d:
    d(z, w) ist gleich dem euklidischen Sehnenabstand der Sphären-Punkte Z und W, die via stereografische Rückprojektion z und w zugeordnet sind. Damit wird ℂ' zu einem kompakten Raum.
 
 
 
 
 

Weitere Resultate:

  • Die komplexe Konjugation in der komplexen Ebene induziert eine Spiegelung der Zahlenkugel an der Vertikalebene durch die reelle Achse.

  • Die Inversion am Einheitskreis induziert eine Spiegelung der Zahlenkugel an der Äquatorebene.

  • Aus diesen beiden Punkten folgt: Die Abbildung w = 1/z induziert zwei Spiegelungen an zwei zueinander senkrechten Ebenen durch die reelle Achse, also eine Drehung um die reelle Achse um den Winkel π. Nord- und Südpol werden vertauscht.
 
  • Wir betrachten zwei Geraden in der komplexen Ebene, die sich unter dem Winkel α schneiden. Übertragen wir dies auf die Zahlenkugel, so sehen wir, dass sich die entsprechenen Kreise bei N unter dem Winkel -α schneiden. Wir können also sagen: Die beiden sich schneidenden Geraden in der komplexen Ebene schneiden sich im Punkt ∞ nochmals, nämlich unter dem Winkel -α.

  • Statt Abbildungen von einer komplexen z-Ebene in eine komplexe w-Ebene zu betrachten, können wir die Abbildung auch von einer Urbild-Zahlenkugel auf eine Bild-Zahlenkugel anschauen.
 
 
 
 
  3.2.Stereografische Gleichungen      
 

Sei p = x + iy in der komplexen Ebene. Sei P der zugeordnete Punkt auf der Sphäre.
Seien die zugehörigen Koordinaten auf der Sphäre (X, Y, Z).

Sei p' = X + iY der Fusspunkt der Senkrechten von P nach der komplexen Ebene.

Es ist offensichtlich (s. Bild) p = | p | / | p ' | ⋅ p ' .

Wir betrachten erneut denselben Schnitt wie oben (Schnittebene des Dreiecks pON). Dieser Schnitt ist rechts abgebildet.

Aus der Ähnlichkeit der abgebildeten rechtwinkligen Dreiecke folgt:

| p | : | p' | = 1 : (1 - Z) und somit

p = (X + iY) / (1 - Z) .

 


Schnittbild (Ebene pON)

 
 
 
 
 

Wir wollen noch die Umkehrformeln herleiten, also aus x + iy die Koordinaten X, Y, Z des Punktes auf der Sphäre:

 

 


Zusammenfassung: Stereografische Formeln:

Sei z = x + iy eine komplexe Zahl in der komplexen Ebene. Seien (X, Y, Z) die Koordinaten des entsprechenden Punktes auf der Einheitssphäre mit Nordpol bei (0, 0, 1).

Von der Sphäre zur Ebene:

   

Von der Ebene zur Sphäre:

   

 
      Man verifiziert, dass X² + Y² + Z² = 1 ergibt.  
 
 
 
 

Kugelkoordinaten:

Bildquelle: wikipedia

 

Das Schnittbild oben (3.2.) zeigt, dass die Dreiecke SNP und NpO ähnlich sind. Der Winkel des Dreiecks SNP bei S ist als Peripheriewinkel θ/2. Folglich ist r = cot(θ/2).
Zudem ist z = r ⋅Exp(i⋅φ), somit erhalten wir

 

z = cot(θ/2)⋅Exp(i⋅φ) .

 

Anwendung: Wir studieren nochmals eine Drehung der Sphäre um die reelle Achse um π.
Ein Punkt P mit Polarwinkeln θ und φ geht über in einen Punkt P' mit Winkeln π-θ und -φ.
z = cot(θ/2)⋅Exp(i⋅φ) geht also über in z' = cot(π/2-θ/2)⋅Exp(-i⋅φ) = 1/cot(θ/2)⋅Exp(-i⋅φ)= 1/z.

 
 
 
 
   

Linke Spalte: Zusammenfassung der Formeln

Chordale Metrik (Sehnenabstand) auf der Sphäre in Abhängigkeit zweier komplexer Zahlen z und z' in der komplexen Ebene.
Die chordale Metrik generiert Werte zwischen 0 (Punkte zusammenfallend) und 2 (antipodale Punkte).

 

Übung:

a) Man verifiziere, dass

zueinander inverse Abbildungen sind.

b) Man beobachte, wie sich unter der inversen Abbildung mit wachsendem x oder y das Bild auf der Sphäre dem Punkt (0, 0, 1), also dem Nordpol, annähert (Formel betrachten).

Man kann in ℂ':= ℂ {∞} eine Umgebung des Punktes ∞ wie folgt definieren:
U(ε,∞ ):= {z ∈ ℂ; | z | > 1/ε} {∞}; ε > 0. Die stereografische Projektion wird damit zu einem Homöomorphismus und ℂ' wird zu einem kompakten Haussdorffraum.